Schwarztaxi Leipzig – Eine Inszenierung des Centraltheaters

Adelina Horn Creative Head

Weiter, höher, schneller, besser! Um Aufmerksamkeit zu erregen, kennt das Schauspiel kaum noch Grenzen. Modern sein, heißt nackt sein, laut und schrill. Nicht so im Schwarztaxi.

Schwarztaxi Leipzig Centraltheater
© R.Arnold/Centraltheater

Mit der Inszenierung des Schwarztaxis schlägt das Leipziger Centraltheater näher am Puls der Zeit, als manchem Zuschauer lieb sein dürfte. Denn wo sonst eine Bühne zum Schauplatz der Fantasie wird, steht hier ein Spiegel.

Die Überraschung ist groß, wenn man anstelle zum Theatersaal vom Portier zu einer schwarzen Limousine geleitet wird, in der nur genau 3 Zuschauer Platz finden. Nicht mehr, und nicht weniger. Bei 5 Vorstellungen pro Monat, gehört ein gutes Quäntchen Glück dazu, einer von ihnen zu sein. 3 Schauspieler, 1, Auto, das Radio und die Stadt als wohl lebendigste Kulisse, die man sich vorstellen kann. Da setzt sich der Wagen in Bewegung. Und mit ihm ein Roadmovie, das man nie mehr vergessen wird.

Während sich der BMW bedacht durch die Leipziger Straßen schlängelt, verschmelzen Schein und Sein zu einem schier unentwirrbaren Miteinander. Die dumpfen Klänge des Autoradios, der nicht zu ortende Blick des Fahrers im Rückspiegel und die spürbare Nähe der 4 anderen Autoinsassen schüren die Skepsis, tatsächlich selbst „nur“ Betrachter des Geschehens zu sein. Unwissend, wohin einen die Reise führen wird, wer Passant ist und wer Statist und welch absurde Ereignisse das Schicksal für einen an diesem Abend noch bereithalten mag, beginnt man die sonst so vertraute Stadt mit anderen Augen zu betrachten.

Die heimischen Straßen werden zu Schauplätzen fremder Geschichten. Jeder Vorübergehende vermag Akteur zu sein. Nichtigkeiten am Straßenrande werden bedeutsam. Und die eigene Vernunft versagt, Realität und Manipulation voneinander zu unterscheiden. Mit einer kindlichen Neugier weckt jede noch so banale Begebenheit  unsere Aufmerksamkeit. Denn nichts gilt es zu verpassen, kein Puzzleteil zu übersehen, um am Ende das Rätsel der mysteriösen Spritztour zu lösen.

Die Fahrt im Schwarztaxi ist mehr als ein Theaterstück. Die Fahrt im Schwarztaxi ist eine Projektion unserer Selbst in einem philosophischen Gerüst aus Erwartungen, Zufällen und Erinnerungen. Fragt man nach einer Interpretation, wird kaum eine der anderen gleichen.

Mit dem Motiv des Schwarztaxis knüpfen die Regisseure Sebastian Hartmann und Pernille Skaansar an den Erfindergeist der DDR-Bürger an. So florierte vor 25 Jahren das Schwarztaxi als zwar verbotene aber dennoch geduldete Schattenwirtschaft, wenn besonders am Wochenende an Taxis kaum ein rankommen war.  Nach dem einfachen Prinzip: Schnappe keinem offiziellen Taxi einen Fahrgast weg und verlange kein Fahrgeld von deinem Kunden, galt es lediglich an Wochenend- und Feiertagen die Straßen gut besuchter Nachtclubs in gemäßigtem Tempo entlang zufahren bis man an den Straßenrand gewunken wurde.

Die Parallelen sind unübersehbar. Was damals Mittel zum Zweck war, dem ostdeutschen Taximangel zu trotzen, ist heute Kult. Fremd sind sich die Protagonisten dieses spannenden Schauspiels wie eh und je. Und auch heute noch, schreibt jede Fahrt ihre ganz eigene Geschichte.

Schwarztaxi Szene
© R.Arnold/Centraltheater

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Spezialtipp:

Wahrscheinlich war es selbst in der DDR einfacher an eine Schwarztaxifahrt zu kommen, als hier und jetzt in Leipzig. Denn die Nachfrage an dieser Inszenierung der dritten Art – sei es der eigenen Erfahrung Willen oder als heißbegehrtes Geschenk – übersteigt das streng limitierte Angebot. Hartnäckigen sei daher gesagt: Der Ticketverkauf findet jeden ersten Dienstag im Monat für alle Veranstaltungen des Folgemonats statt. Wer nicht umsonst aufstehen will, campiert am besten schon 3 Stunden vor der offiziellen Öffnungszeit vor dem Ticketbüro. Gute Gesellschaft sei ihm gewiss.

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