Coronaquarantäne: Privatlebenzapping.

Adelina Horn Creative Head

Corona legt die Welt in Ketten und Leipzig klappt die Bordsteine nach oben. Das Jahr 2020 wird uns im Gedächtnis bleiben, als Beginn einer neuen Zeitrechnung. Die Corona-Ära zwingt uns nicht nur zum Rückzug in den privaten Raum, sondern verdeutlicht zeitgleich eine Dystopie, in der kulturelle Freiheit und Entfaltungsgeist maximalen Beschränkungen unterworfen sind.
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Allein Daheim

Popsongs wie „Wir bleim Daheim!“ bahnen sich ihren Weg in unsere Ohrmuschel und hypnotisieren uns, den Auflagen zu gehorchen. Konzerttickets wandern in die falsche Richtung zurück über die Ladentheke und Konzerthäuser erstrahlen im glamourösen Dunkel, verstaubt und fiebernd auf ihre in weiter Ferne liegende Wiedereröffnung.

Doch wenn unsere Lieblingsmusiker nicht mehr zu uns kommen, machen wir uns eben auf den Weg zu ihnen. Es braucht dazu kaum neue Tools und Techniken – lediglich die Awareness für Vorhandenes musste in unseren Köpfchen an Präsenz gewinnen. Denn wer zum Beispiel in diesem Jahr auf Konzerte wie Lena Meyer-Landrut in Leipzig verzichten musste, beamt sich einfach per Plattformen wie TikTok oder www.loomee-tv.de direkt in ihr Wohnzimmer.
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Quarantäne: Der Blick ins Privatleben.

Nicht nur für uns rückt das Private unweigerlich in den Vordergrund, sondern auch für Promis scheint der Blick hinter die sonstigen Kulissen zur unweigerlichen Bühne der Zukunft zu werden. So erfährt man anstelle der nächsten Tourdaten, dass Lena es sich aktuell mit Backen und Tee trinken gemütlich gemacht hat und kann mit ihr darüber in den Dialog kommen, ob man einen Pickel während der Quarantäne abdeckt – oder nicht!?

Fragen über Fragen, die uns nur all zu leicht vom Wesentlichen abzulenken versuchen – nämlich der Antwort darauf, was wir mit der gewonnenen Zeit anstellen mögen.
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Gesellschaft – Ich brauche dich.

Nicht „gebraucht zu werden“, am Ende des Tages kein produktives Fazit ziehen zu können oder keine nachweisbare Leistung zu erbringen, ist für nicht wenige Menschen ein zermürbendes Gefühl inmitten der sonstigen Performancegesellschaft. Wir haben es verlernt, Dinge zum Selbstzweck zu tun: Spazieren gehen, Halma spielen, Lesen – aus purer Neugierde heraus. Die Dinge, die kein Geld ins unsere Kassen spülen, aber Glückshormone in unsere Herzen. Es sind diese Dinge im Leben, die uns sonst zu kurz kommen, so dass wir sie verkümmern lassen haben. Und nun, da uns die Zeit dafür bereit steht, haben wir verlernt, auf sie zurückzugreifen.

Die bittere Erkenntnis liegt darin, dass wir diese Gesellschaft vor der wir all zu oft zu fliehen versuchen, doch viel stärker brauchen, als wir hofften. Und die schmerzlich, erlösende Wahrheit, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Wir sind entbehrlich für das System. Doch das System nicht für uns. Denn sonst könnten auch Stars wie Lena-Meyer Landrut ihre Zwangsferien im Stillen genießen. Ohne unsere wachsamen Augen, die nicht auf sich gerichtet bleiben wollen.

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